Conor Oberst

Auf Ruminations kehrt Oberst zur unbefangenen Nähe und Offenheit seiner früheren Arbeiten zurück. „Ich glaube, es war einfach an der Zeit. Ich habe mich von einigen Dingen freigemacht. Ich hörte auf, mich um die Welt da draußen zu kümmern und realisierte, dass ich im Augenblick genau so meine Songs schreiben muss – und mir dabei von nichts und niemandem in...
Auf Ruminations kehrt Oberst zur unbefangenen Nähe und Offenheit seiner früheren Arbeiten zurück. „Ich glaube, es war einfach an der Zeit. Ich habe mich von einigen Dingen freigemacht. Ich hörte auf, mich um die Welt da draußen zu kümmern und realisierte, dass ich im Augenblick genau so meine Songs schreiben muss – und mir dabei von nichts und niemandem in die Quere kommen lasse.“
Und das, obwohl ihm anfänglich noch nicht einmal klar war, dass er ein Album machte.
„Es war überhaupt nicht geplant. Ich weiß nicht, ob bekannt ist, wie die Winter in Omaha sind, aber sie sind schlicht lähmend. Du sitzt im Haus fest. [Meine Frau] Corina geht wesentlich früher zu Bett als ich, daher war ich im Grunde allein. Ich blieb jeden Abend lange auf und sah zu, dass ich das gerade neu gekaufte Klavier spielte, während ich dem Schnee vor dem Haus beim Rieseln zusah. Alles schlief, nur ich war in diesem einen Zimmer, machte ein Feuer und spielte den ganzen Abend über.“
„Im November wurde eine ganze Wagenladung Feuerholz geliefert und ich dachte: ‚Das wird für immer reichen’. Bevor ich es mich versah, hatte ich jedoch die Hälfte des Holzes verfeuert und fünf Songs im Kasten. Im Februar war schließlich alles verbraucht, und ich hatte 15 Songs. Ich hatte soeben den gesamten Winter damit zugebracht, Feuer zu machen und Musik zu spielen.“
Er stellte außerdem fest, dass er zum Schreiben autobiografischer Songs zurückgekehrt war, indem er einzelne Teile dessen enthüllte, was ihm die letzten Jahre widerfahren war. Stück für Stück bat er seine Zuhörer zurück in den Raum, ohne dabei zu realisieren, was geschah.
„Ich glaube, was passierte war, dass ich praktisch vergessen hatte, dass es da draußen die Welt gibt, die Zuhörer, alles, und einfach schrieb. Und schrieb. Und schrieb. Es war unerwartet, anscheinend hatte es sich jedoch seit geraumer Zeit in mir zusammengebraut. Es scheint, als seien tatsächlich die letzten Jahre in diesen Songs kulminiert, nachdem ich zuvor ganze Teile meines Gehirns für eine Weile ins Regal gestellt hatte. Ich hatte das Gefühl, dass es sein musste.“
Sobald er es jedoch nun wieder hervorholte, begannen die Worte, förmlich aus ihm herauszupurzeln: „Es strömte nur so aus mir heraus. Und ich glaube, weil ich keine Erwartungen hatte, war da eine Freiheit. Dieses Album war nicht konstruiert, es gab nicht diese grandiose Idee von einem Album, das ich machen wollte. Auf einem Album wie Cassadaga wurden die Songs über mehrere Jahre geschrieben. Diese entstanden binnen weniger Monate.“
Und in derselben Dringlichkeit, in der die Songs geschrieben wurden, realisierte Oberst, musste er auch die Songs augenblicklich aufnehmen. Um eine Art roher Intensität und rauer Magie einzufangen, die ihnen innewohnte.
„Ich wusste, dass ich sie schnell aufnehmen wollte, um sie im Kasten zu haben. Sie schienen danach zu verlangen“, erklärt er. Er nahm die Hilfe seines alten Freundes in Anspruch, Tontechniker Ben Brodin. Die beiden begaben sich in die ARC Studios in Omaha, die Conor einige Jahre zuvor mit seinem Bright-Eyes-Kollegen und Produzent Mike Mogis mitgegründet hatte – und kamen 48 Stunden später mit einem fertigen Soloalbum wieder heraus. Aufgenommen mit einer ruhigen, gedämpften Anmut und Obersts akustischer Gitarre, Klavier und Harmonika als einziger Instrumentierung, hat Ruminations nichts mit den Soundcollagen oder Found Sounds vergangener Alben gemein.
„Ich hatte das Gefühl, dass ich die Songs einfach in Ruhe lassen muss“, erklärt er.
Interessanterweise muss Oberst für gewöhnlich in Bewegung sein, um schreiben zu können, nicht jedoch bei Ruminations. „Sobald ich die Melodie in meinem Kopf gefestigt habe, kann ich mich langsam an die Textarbeit machen, wo auch immer ich gerade bin, einfach, indem ich herumlaufe“, erklärt er. „Ich habe festgestellt, dass Bewegung meinem Gehirn hilft. Autos sind gut. Flugzeuge. Es scheint stets eine Form von Bewegung involviert zu sein. Bis auf dieses Mal. Da gab es definitiv weniger ein Gefühl des Reisens, sondern eher eines Gestrandet-Seins.“
Die einzige Art des Reisens, die sich vollzog, waren Zeitreisen – zurück zu alten Sorgen und dem darauffolgenden Versuch, sie aufzulösen. „Einige dieser Songs hatten einen therapeutischen Effekt für mich. Mit „Counting Sheep“ beispielsweise hat sich definitiv einiges von dem Gift verflüchtigt. Wenn man in der Lage ist, etwas beim Namen zu nennen, hat es plötzlich weniger Macht über dich“, sagt er still.
Musik zu machen und zu spielen, war schon immer ein Balsam für die Seele des zeitweilig sorgenschweren Musikers. Diesmal schien es besonders wichtig. Es war, als schriebe er sich zurück zu sich selbst. Zurück zum gesunden Verstand. Zurück zu einem Verständnis dessen, was wirklich wichtig ist und eine Bedeutung für ihn besitzt.
Songs wie „Mamah Borthwick (A Sketch)“, inspiriert vom Liebhaber des berühmten Architekten Frank Lloyd, der umgebracht wurde, ist perfekt konstruiert wie ein Lloyd-Wright-Gebäude, jeder Absatz verankert mit dem Namen eines seiner ikonografischen Gebäude, die Feuer, Erdbeben und Zeiten der Not überdauert haben. Es beinhaltet jenen Ausdruck, von dem das Album seinen Titel bezieht und ist ein Beleg dafür, wie man Kunst erschaffen kann, die der Zeit und wechselnden Geschmäckern standhält. Oder, wie der Text es ausdrückt: „build something that’s sacred till the end“ – eine Fähigkeit, die auch Oberst ohne Zweifel besitzt.
„Der Titel des Albums stammt von einem psychologischen Ausdruck für einen Gedanken, der sich unermüdlich wiederholt. Der einzige Weg, wie ich diesen Gedanken stoppen konnte, war, Musik zu machen“, sagt er.
„Ich habe schon immer daran geglaubt, dass man in Musik und Liebe sein Seelenheil finden kann. Das gilt zumindest für mich. Es hat mich durch die schlimmsten Dinge gebracht. Ich wollte jedoch, dass dies auch für die Leute gilt, die das Album hören“, erklärt Oberst. „Selbst wenn ich bedrückende Stücke schreibe, versuche ich stets, einen Silberstreif mit einzuweben. Ich glaube, das Geheimnis zum Glücklichsein ist es, selbst daran glauben zu können, dass Glücklichsein möglich ist. Der erste Schritt, etwas zu überwinden, ist, dass man selbst daran glaubt, es zu können. Daher gibt es in meinen Songs immer einen Punkt, an dem dich etwas aus dem Loch herauszieht, in dem du dich gerade befindest.
Jaan Uhelszki - August 2016