News
Biografie
Ella Henderson hat den Leuten schon immer das Gegenteil bewiesen. Gleich zu Beginn ihrer Karriere, im Alter von 16 Jahren, verwandelte sie einen sechsten Platz bei „The X Factor“ zwei Jahre später in einen UK #1-Hit, „Ghost“. Den weltweiten Smasher – der sich allein in den USA über 1 Million Mal verkaufte – schrieb sie mit einem der weltweit erfolgreichsten Songwriter, Ryan Tedder. Es folgte das Debütalbum „Chapter One“, das erneut Platz 1 im UK belegte und mit „Glow“ und „Yours“ zwei weitere Hits enthielt. Vier Jahre später jedoch herrscht Funkstille, zumindest was neue Solomusik anbelangt. Umso mehr beschäftigen sich die Boulevardblätter mit ihrer Trennung von (Simon Cowells Label) Syco und persönlichen Problemen. Einmal mehr überwindet sie die Hürde mithilfe ihrer Musik, diesmal durch die Veröffentlichung ihrer zutiefst persönlichen, unglaublich soulvollen „Glorious“-EP, eine 4-Track-Sammlung selbstgeschriebener, exzellenter Pop- und R&B-Songs, die Ellas Reise der vergangenen Jahre nacherzählen und alles von Beziehungen (zu sich selbst und anderen) bis zu seelischer Gesundheit, von Kämpfen mit falschen Vorstellungen von Perfektion bis hin zum Genießen des Momentes berührt. Zugleich markiert es ihre erste Arbeit, seit sie einen neuen Plattenvertrag bei Rudimentals Label Major Toms (via Asylum/Atlantic) unterschrieb, Heimat von Anne-Marie. Für Henderson kommt dies einem kompletten Neustart gleich: „Ich will, dass es frisch ist“, sagt die 23-Jährige. „Die Branche hat sich so drastisch verändert, seit ich vor über vier Jahren das letzte Mal Musik veröffentlicht habe. Ich möchte das annehmen. Ich will alles wie einen Neuanfang behandeln.“
Um Frieden mit sich zu machen, muss man zunächst die Vergangenheit anerkennen. Und für Ella war diese Vergangenheit ein wenig verschwommen. Als talentiertes Kind begann sie im Alter von drei Jahren mit dem Singen, zwei Jahre später brachte sie sich das Klavierspiel bei. Sie war eine selbstdiagnostizierte Angeberin. „Ich war immer die Art Kind, das seine Eltern ins Wohnzimmer beorderte, um dort eine Show für sie zu machen“, lacht sie. „Ich hatte immer diesen Hang zur Selbstdarstellung.“ Dies und die Tatsache, dass sie drei ältere Geschwister hatte, sorgte dafür, dass sie sich stets älter fühlte, als sie tatsächlich war. Weshalb es sich absolut normal anfühlte, dass sie mit gerade einmal 16 Jahren für eine Show wie „The X Factor“ bewarb. Selbst dort stach sie heraus und sang mit einem selbst geschriebenen Song statt der üblichen Coverversion vor. Es war genau dieses rohe Talent, das zu Angeboten unterschiedlicher Labels führte, von denen Ella sich schließlich für Syco entschied. „Ich wusste, wer ich nicht sein und was ich nicht tun wollte“, sagt sie über diese frühen Labelgespräche. „Ich glaube, das ist für jeden neuen Künstler eine entscheidende Sache. Ich wollte einfach, dass meine Musik klassisch und zeitlos ist, mit großen, wunderschönen Melodien. Ich wollte, dass meine Musik glaubwürdig ist. Das war mir immer das Wichtigste.“ Sie begann fast sofort mit den Arbeiten an dem, was schließlich „Chapter One“ werden sollte, angefangen mit einer von ihr handverlesenen Auswahl an Spitzenproduzenten, darunter der oben Genannte Ryan Tedder (der sich hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit Ella an das Label wandte, nachdem er ein von ihr online gepostetes Drake-Cover gehört hatte), Salaam Remi (Amy Winehouse, Lauryn Hill), Steve Mac (Ed Sheeran) und der legendäre Babyface (Whitney, Beyoncé).
Obwohl sie stolz auf das Album war, überwältigte sie der darauffolgende Erfolg doch komplett. „Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass ‚Ghost’ erreicht, was es erreichte“, sagt sie. „Es hat gewissermaßen mein gesamtes Leben für dreieinhalb Jahre in den Schleudersitz gesetzt. Ich tat nicht, was all meine Freude taten. Ich war die ganze Zeit über mit Erwachsenen zusammen. Du realisierst überhaupt erst hinterher so richtig, was da alles passiert ist.“ Zunächst stand jedoch der verzwickte Prozess an, im Schatten des ersten Albums ein zweites zu schreiben und aufzunehmen. Die Sessions wurden gebucht, Songs wurden geschrieben („Ich habe für dieses Album über 360 Songs geschrieben“, lacht sie), doch die Dinge hatten sich verändert. „Ich begann das Schreiben des zweiten Albums ohne das Selbstvertrauen, das ich jetzt verspüre“, erklärt sie. „Das war vermutlich mein größtes Verhängnis. Ich war ausgebrannt. Ich brauchte Zeit, um bei meinen Freunden zu sein. Ich musste für eine Weile Teenager sein.“
Zudem begann sie, sich über alles doppelt und dreifach den Kopf zu zerbrechen. „Ich glaube, alles wurde ein bisschen überanalysiert, von mir und den Menschen um mich herum. Wir kamen an einen Punkt, an dem wir einen Song gut fanden, dann jedoch stellten die Leute ihn infrage oder ich haderte: ‚Bin ich mental und physisch bereit, dahin zurückzugehen?’. Irgendetwas kam immer in die Quere.“ Schließlich – wie eine Beziehung, die an ihr Ende kommt – entschied Syco, sich von Ella zu trennen. „Es war alles total einvernehmlich. Ich hatte das Gefühl, dass es seine Zeit gehabt hatte. Ich unterschrieb dort, als ich 16 war, und die Leute, die zuvor an meinem Album gearbeitet hatten, waren nicht mehr da. Sie veränderten sich ständig weiter. Es fühlte sich für mich nicht mehr natürlich an, vor sechs Jahren tat es das. Wenn du Veränderung willst, sorge für Veränderung.“
Nachdem sie den Schock überwunden hatte, zum ersten Mal in ihrem Leben im Grunde arbeitslos zu sein, war sie in der Lage, positiv auf das Geschehene zurückzublicken. „Ich bin dankbar, denn anscheinend brauchte ich das böse Erwachen“, lächelt sie. „Wenn etwas seit deinen jungen Jahren so gut läuft und alle dir Zucker in den Arsch blasen, ist ein kleiner Schock wie dieser fast eine gute Sache“. Langsam begann sie, wieder Songs zu schreiben, am Piano sitzend, so wie sie es früher tat. „Musikalisch habe ich einen derartig großen Kreis zurück dahin vollzogen, als ich 12 war und am Piano Songs schrieb“, sagt sie. „Ich verliebte mich neu in die Musik und das Geschichtenerzählen.“ Am Ende war sie nur für drei Monate ohne Label, nachdem eine Verkettung glücklicher Zufälle sie dazu brachte, bei Rudimentals Major Toms / Asylum-Label zu unterschreiben. „Ich wollte mich langfristig binden“, sagt sie mit Blick auf ihr neues Zuhause. „Ich habe das Gefühl, dass ich dieses Mal eine Menge zu geben habe und dieses Label versteht mich wirklich für mein Songwriting, nicht nur Ella, den Popstar.“
Die „Glorious“-EP bietet den perfekten Vorgeschmack auf das, was kommt. Um ein simples Bass-Pochen und einen mehrspurigen Chor von Ellas gebaut, steht der himmelhohe, zutiefst gefühlvolle Titeltrack und erste Release für eine Art Reinigungsprozess. „Vor dieser Session zerflossen viele der Songs in Selbstmitleid. Sogar wenn ich darüber schrieb, zu meiner Berufung gefunden zu haben, fühlte es sich manchmal ein wenig so an, als sei ich das Opfer. Dem habe ich mit ‚Glorious’ ein Ende gesetzt, das sich darum dreht, alles anzunehmen.“ Es thematisiert sogar Ellas Probleme mit der eigenen Körperbildwahrnehmung infolge mehrerer Auseinandersetzungen mit Paparazzi, die heimlich Fotos von ihr machten. „I could be kinder to myself“, singt sie an einer Stelle, bevor ihre anschwellende Stimme eine Frage stellt, die täglich aktueller wird: „ain't it a shame that we struggle to see that beautiful comes in a million ways?”
Dieses Gespür für sowohl Selbstanalyse als auch ein Angebot zur Unterstützung anderer setzt sich auf dem experimentelleren, vokalgeprägten „Young“ fort – gemeinsam erschaffen mit Producer Jordan Riley –, das beeinflusst ist von so unterschiedlichen Themen wie das Dilemma der Generation Z, Selbstmedikation und Frauenrechte in einer Welt, in der Abtreibungsverbote immer noch existieren. Es geht auch um Angstzustände – eine Krankheit, über die Ella zwar gelesen, aber in ihrem eigenen Leben nie wirklich erlebte, bis sie vor einem Jahr eine Panikattacke hatte. „Ich wusste nicht, was los war, ich dachte, ich sterbe“, sagt sie. „Ich wollte darüber schreiben, damit meine Fans wissen, dass es absolut jedem passieren kann.“
Zu den weiteren Songs der EP gehören die zarte Piano-Ballade „Hold on Me“, die sich mehr nach der bekannten Ella Henderson anhört und einmal mehr ihr persönlicheres, nahezu furchtloses Songwriting unterstreicht, während sie über ihre eigene Beziehung und die ihrer Eltern singt. Und dann ist da noch das geradezu absurd eingängige „Friends“, ein Bläser-gewürzter R&B-Throwback und eine Ode an jene Menschen, die auch während ihrer zahlreichen Irrungen und Wirrungen nicht von ihrer Seite wichen.
Das ist die Krux von Ella Henderson Mk II. Ihre Songs bauten stets auf ihren Erfahrungen auf, nun jedoch geht es darum, alles auf den Tisch zu legen und die dunklen Zeiten in etwas – Wortspiel absolut beabsichtigt – Glorioses zu verwandeln. Es geht darum, das Geschehene zu nehmen und daraus etwas zu formen, das anderen helfen kann, während es zugleich jeden Aspekt ihres Lebens als 23-Jährige Frau abbildet. „Ich glaube, meine Musik steht für so viel mehr als nur die Veröffentlichung eines Popalbums“, sagt sie. „Das hier bedeutet mir so viel. Mein Hunger ist zurück. Dieses Verlangen danach, auf der Bühne zu sein und den Leuten dabei zuzuhören, wie sie deinen Song mitsingen, vergeht nie.“