Madrugada

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Als Madrugada 2019 nach gut zehnjähriger Pause wieder zusammenfanden, um das 20-jährige Jubiläum ihres Debütalbum-Klassikers "Industrial Silence" mit einer umfangreichen Comeback-Tournee durch Europa zu feiern, machten sie zwei erfreuliche Feststellungen. Erstens: das Interesse an ihrer Band hatte in ihrer Abwesenheit nicht nachgelassen, ganz im Gegenteil - auf dem europäischen Kontinent hatte es sogar zugenommen. Und zweitens: sie liebten es, wieder...

Als Madrugada 2019 nach gut zehnjähriger Pause wieder zusammenfanden, um das 20-jährige Jubiläum ihres Debütalbum-Klassikers "Industrial Silence" mit einer umfangreichen Comeback-Tournee durch Europa zu feiern, machten sie zwei erfreuliche Feststellungen. Erstens: das Interesse an ihrer Band hatte in ihrer Abwesenheit nicht nachgelassen, ganz im Gegenteil - auf dem europäischen Kontinent hatte es sogar zugenommen. Und zweitens: sie liebten es, wieder zusammen zu sein. Nie in den knapp 25 Jahren seit der Gründung hatte es so viel Spaß gemacht, in Madrugada zu sein.

Sänger und Gitarrist Sivert Høyem dazu: "Es war, als sich ob das letzte Puzzleteil an seinem Platz eingefügt hätte. Ich hatte mich auf der Bühne noch nie so wohl gefühlt. Es war überhaupt kein Stress, ganz anders als früher, wo ich immer großen Stress empfunden habe." Die Tour war ein wahrer Triumphlauf, mit ausverkauften Shows in ihrem Heimatland Norwegen, vielen Festival-Terminen und einer Vielzahl von Konzerten in ganz Europa, wo die Band nun Hallen ausverkaufte, die doppelt so groß waren wie die Venues, in denen sie früher gespielt hatten.

Zehn Jahre nach der Bandauflösung infolge des Todes von Gitarrist Robert Burås verspürten die drei verbliebenen Gründungsmitglieder - Høyem, Frode Jacobsen (Bass) und Jon Lauvland Pettersen (Schlagzeug) - eine neue Energie und waren bereit für mehr.

Sie wollten weitere Konzerte spielen. Dafür musste neue Musik gemacht werden. Denn darin waren sie sich einig: sie wollten nicht ewig weiter auf der Nostalgiewelle surfen. Und so kam es, dass Madrugada, eine Band, die normalerweise eine halbe Ewigkeit braucht, um sich selbst auf die kleinsten Dinge zu einigen, im Dezember 2019 von der Bühne direkt zurück in den Proberaum eilten.

"Wir hatten einen engen Zeitplan", berichtet Frode Jacobsen. "Wir buchten uns Ende Februar im Sunset Sound Studio in Los Angeles ein und hatten etwa anderthalb Monate Zeit, um das Material zu entwickeln und in Form zu bringen. Es lief wie am Schnürchen. Wir waren immer noch high vom Touren und nahmen diese Energie mit in die Aufnahmekabine".

"Jeder von uns brachte Melodien und Ideen ein, was dem Kreativprozess sehr zuträglich war", fügt Høyem hinzu. "Und dann schauten wir einfach, wohin es uns treibt.  Wir hatten das ‚Industrial Silence'-Album noch in den Venen, nachdem wir es auf der Tournee live gespielt hatten, und ich hatte das Gefühl, dass es eine direkte Verbindung zu unseren prägenden Jahren gab. Egal, was wir anfassten - es klang am Ende nach Madrugada."

In der Folge arbeitete die Band in ihrem eigenen Proberaum/Studio in Oslo und einem anderen Studio 45 Minuten außerhalb der Stadt, Velvet Recordings, weiter an den Songs, gefolgt von einer weiteren Woche des Feinschliffs in Berlin. 70 % des erarbeiteten Materials ist komplett neu, die übrigen 30% entstanden aus einigen älteren Songs, die sie aus der Vergessenheit retteten. "The World Could Be Falling Down" etwa, das aus der Zeit ihres ersten Albums stammt, oder "Slowly Turns The Wheel", das seinen Ursprung irgendwo zwischen dem dritten und dem vierten Album hat.

"Der Prozess unterschied sich grundlegend von den Aufnahmen meines letzten Albums mit der Band ["The Nightly Disease", 2001]", berichtet Lauvland Pettersen. "Damals war es ein klassischer Fall von 'Zweites-Album-Syndrom' - wir hatten nicht viel vorbereitet, sondern gingen einfach rein und versuchten, das Beste aus der gegebenen Zeit herausholen. Diesmal wurde das Material im Vorfeld nicht nur geschrieben, sondern auch sorgfältig arrangiert".

Derart vorbereitet, kam die Band Ende Februar in Los Angeles an und freute sich darauf, in einem legendären Studio aufzunehmen, in dem schon Klassikeralben von Led Zeppelin, Fleetwood Mac, The Doors und den Rolling Stones entstanden waren. "Ein Kindheitstraum wurde wahr, ganz ohne Frage", sagt ein zutiefst dankbarer Lauvland Pettersen: "Was für ein Geschenk: Ich bin hier mit meinen lieben Freunden und wir haben die Zeit unseres Lebens."

Produzent Kevin Ratterman (Ray LaMontagne, My Morning Jacket, The Flaming Lips) erwartete sie bereits. Der Plan war derselbe wie schon zuvor im Sunset Sound Studio: in den Flow kommen und zügig arbeiten. Die Band hatte sich zwei Wochen Zeit gegeben, um die Musik live im Studio aufzunehmen und auf analoge Bänder zu spielen.

Sie hielten die Deadline ein, was sich in doppelter Hinsicht als Gewinn herausstellen sollte, denn kaum war der letzte Song des Albums, "Ecstasy", im Kasten, ging die Welt, wie wir sie kannten, in den Shutdown. Es war März 2020, und der Plan war, dass Madrugada nach Hause fahren, sich eine Woche lang ausruhen und dann zurückkehren sollten, um in einem Studio in Silver Lake, L.A. die Overdubs und Mixings des Albums zu erledigen. Stattdessen fuhren sie nach Hause - und blieben dort.

"Es war eine ‚Letzter Flug aus Saigon'-artige Szene", erinnert sich Høyem. "Und die Tickets waren nicht billig.".

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Entstehung von ‚Chimes at Midnight' tatsächlich in Windeseile vonstatten gegangen. Als klar wurde, dass sich die Welt noch eine ganze Weile im Ausnahmezustand befinden würde, war es wichtig, das Momentum nicht zu verlieren. Um das Album fertigzustellen, musste zu unorthodoxen Mitteln gegriffen werden. Die wichtigsten Hilfsmittel: Zoom und ein Großbildfernseher, mit Ratterman und dem amerikanischen Team auf der einen Seite in Los Angeles und Madrugada auf der anderen in Oslo, Norwegen. Frustrierend? Oh ja. Aber der Esprit de Corps blieb stark.

"Die Technologie machte es uns möglich, Overdubs in Echtzeit zu machen, während Kevin uns von der anderen Seite des Atlantiks aus produzierte", berichtet Jacobsen. "Ungewöhnlich und - um es milde auszudrücken - ziemlich interessant. Aber es verlangsamte den Prozess enorm."

Es versteht sich von selbst, dass Høyem, Jacobsen und Pettersen die Abwesenheit von Robert Burås bei der Arbeit an den neuen Songs schmerzlich bewusst war, persönlich ebenso wie fachlich. Doch was hat sich seit dem bisher letzten Album "Madrugada" (2008) und "Chimes at Midnight" sonst noch verändert?

"Die Songs sind ein Abbild dessen, wer wir im Hier und Jetzt sind", gibt Høyem zu Protokoll. "Wir sind älter. Wir sind alle Väter. Ich glaube, ich habe eine differenziertere Sicht auf das Leben als vor 20 Jahren, eine größere Fähigkeit, mehr als nur eine Sache gleichzeitig zu fühlen. Die Ästhetik von Madrugada war sehr New York City und Berlin, wir waren eine Punkband, die den Blues spielte. All diese Elemente sind weiterhin da. Doch dieses Mal verspürten wir einen Reiz, uns stärker den verträumten Aspekten unseres Schaffens zu widmen. Die Stadt, in der wie aufgenommen haben, hat uns darin bestärkt."

Das Resultat sei jedoch "kein konzeptionelles Album", wie Jacobsen mit Blick auf "Chimes at Midnight" sagt. "Es weist nicht in eine bestimmte Richtung, was es für mich auf eine Art speziell macht. Eines hat es jedoch hat es mit all unseren Alben gemein: es ist dafür gemacht, live gespielt zu werden".

"Ich glaube, es hat vielleicht einen stärkeren Singer-Songwriter-Vibe", sieht auch Lauvland Pettersen Unterschiede zu den vergangenen Werken der Band. "Wenn ich eine Ballade schreiben und ihr die volle Orchester-Behandlung angedeihen lassen möchte, steht mir das frei. Es hatte sogar einen therapeutischen Effekt. Die Konzerte waren das reine Vergnügen, das Album gab mir jedoch das Gefühl, mit etwas abschließen zu können."

"'Chimes at Midnight' entstand aus einer von großer Freude und Wohlwollen geprägten Atmosphäre. Für mich ist es ein leidenschaftliches Album", schließt Høyem.

Und wenn es so etwas wie einen idealistischen Überbau gibt, so ist es Høyems, Jacobsens und Pettersens Respekt vor ihrer gemeinsamen Geschichte. "Ich hatte schon immer romantische Vorstellungen von Bands im Allgemeinen - und von unserer Band im Speziellen", so Jacobsen. "Ich wollte nie Musik außerhalb von Madrugada machen. Ich wollte sie mit den Leuten machen, die der Grund waren, warum ich damals mit all dem angefangen habe."


Madrugada sind
Sivert Høyem
Frode Jacobsen
Jon Lauvland Pettersen

mit
Cato Thommassen und Christer Knutsen

Album Diskograpie
"Industrial Silence" (1999)
"The Nightly Disease" (2001)
"Grit" (2002)
"The Deep End" (2005)
"Madrugada" (2008)
"Chimes at Midnight" (2022)

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