Seeed

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Interview von Domez, Juli 2012

Ihr wart vor der Pause 11. Immer noch 11?

Frank: Yes.
Dubmaster Reibold: So soll es sein.

Ihr habt 1998 angefangen. Was dann folgte, war jahrelang Album, Tour, Album, Tour. Während dieser Jahre seid ihr als Band gewachsen, größer und erfolgreicher geworden. Dann folgte eine lange Pause. Und dann steht ihr wieder in...

Interview von Domez, Juli 2012

Ihr wart vor der Pause 11. Immer noch 11?

Frank: Yes.
Dubmaster Reibold: So soll es sein.

Ihr habt 1998 angefangen. Was dann folgte, war jahrelang Album, Tour, Album, Tour. Während dieser Jahre seid ihr als Band gewachsen, größer und erfolgreicher geworden. Dann folgte eine lange Pause. Und dann steht ihr wieder in einem Raum, Instrumente am Hals und macht zusammen Musik. War das – entschuldigt den Pathos -  wie „nach Hause“ zu kommen?

Dubmaster Reibold: Eher wie in so‘n miefigen Box-Stall, aber den liebt man halt trotzdem.
Pierre: Wir sind eigentlich nie alle zusammen in einem Raum... Irgendeiner ist immer vor der Tür und raucht.
Jerome: Es ist ein bisschen wie Fahrradfahren. Based könnte mich vermutlich auch in 20 Jahren morgens um 3 Uhr mit einem Drumfill wecken, und ich würde noch im Halbschlaf den dazugehörigen Hornsatz spielen.

Gibt es Gedankenspiele nach dem Motto „Was ist, wenn das keiner mehr hören will“?

Pierre: Nee, wenn wir 11 es hören wollen, wollen es andere auch hören. Wir haben Chefzyniker in unseren Reihen, aber auch den Hausfrauentest können wir im Prinzip bandintern durchziehen !

Gerüchten zufolge gibt es ab und zu legendäre Seeed-Runden, in denen anstehende Themen lange und ausgiebig diskutiert werden. Wie laufen diese Entscheidungsprozesse ab?

Based: Naja, es ist wie in einer langen Ehe: viele Entscheidungen fallen inzwischen schneller, weil man bereits weiß, was der Andere denkt. Unser Vorteil gegenüber einer Ehe ist, dass wir zu elft sind; da sind immer ein paar von uns zum Schlichten da. Und man spart Kosten für Eheberater.
Pierre: Ich weiß, dass die meisten Bands sehr diskutierfreudig sind, zumindest wenn sie selbst entscheiden, was sie tun wollen. Da gibt es ja auch 1000 Dinge, die uns außer der Musik selbst interessieren – Videos, Plakatkampagnen, Bühnendesign, Outfits... Wenn man überall mitreden will, muss man vorher intern ein bisschen diskutieren.

Gibt es bei Seeed einen Regelkatalog, was die Erhaltung der Arbeitsdisziplin angeht?

Based: Wenn es jemals Ansätze dazu gab, haben sie nie wirklich funktioniert.
Demba: Das Ziel im Auge und möglichst keinen ausartenden Streit.
Jerome: Im Proberaum und im Tourbus ist Rauchen verboten!

Als ihr in die Pause gegangen seid, wart ihr eine der innovativsten und erfolgreichsten deutschen Bands. Spürt ihr jetzt einen gewissen Erfolgsdruck?

Dubmaster Reibold: Der hat sich im Laufe der Produktion schnell wieder verflüchtigt.
Jerome: Also, wenn jetzt nur 500 Leute unsere neue Platte kaufen würden, fände ich das schon sehr low!
Pierre: Ein bisschen Druck ist immer. Wir wollen uns ja nicht einfach wiederholen, sondern weiter Songs und Live-Shows machen, die uns selber gefallen – und mich zumindest begeistert immer eher etwas Freshes, als etwas 100 Mal Gehörtes. Andererseits ist es gut, wenn wir irgendwie wiedererkennbar sind und nicht plötzlich eine riesige 180°-Wende machen. Es geht weiterhin darum, gute Songs in die Tanzhalle zu bringen.

Was haltet ihr in diesem Zusammenhang von der Aussage „Der größte Feind des Künstlers ist seine Vergangenheit, denn er muss sich immer weiterentwickeln, neu erfinden“?

Dubmaster Reibold: Ist doch Quatsch. Die bisherige Arbeit gibt Identität. Warum sollte man sich denn unbedingt den Boden unter den Füßen wegreißen, um zu fliegen, das geht doch auch durch gezieltes Abheben.
Pierre: Ich finde schon, dass da etwas Wahres dran ist. Insbesondere wegen der ständigen Internet-Verfügbarkeit jedes noch so missglückten Furzes, den man mal gelassen hat. Wenn man eher perfektionistisch veranlagt ist, kann das schon hart sein. Im besten Fall hat man im Tourbus richtig was zu lachen – geil, guck mal, wie wir uns da zum Horst gemacht haben...

Was würdet ihr also auf keinen Fall noch mal machen?

Pierre: Jedes der vergangenen Alben würde ich zu... äh, 50 Prozent nicht noch mal machen... und vieles andere mehr auch nicht. Aber hätte man es damals nicht gemacht, wäre man jetzt nicht schlauer.
Alfi: Ich würde nicht noch einmal den Nightliner ohne Telefon verlassen.

Gab es einen Moment, in dem ihr als Band auf der Kippe standet? Wo ihr euch angesehen und gedacht habt: „Jungs, wollen wir wirklich noch mal angreifen?“

Based: Auf der Kippe stand die Band bisher sehr selten, in diesen raren Momenten wurde sich aber eher angeschrien als angesehen...
Jerome: Klar, manchmal läuft es einfach nicht und man denkt, dass das Ganze auseinander fällt. Deswegen muss man ständig in Bewegung bleiben und sich weiter entwickeln, denn neue Ziele schweißen zusammen. Und wenn ich ab und zu einen Blick in den Rückspiegel werfe, denke ich: Yeah!!! Das alles haben wir gemacht. Nicht schlecht!

Man kann es schwer leugnen: Wir alle werden älter. Seid ihr noch viel in Clubs unterwegs? Wann habt ihr das letzte Mal getanzt?

Pierre: In Clubs gehe ich fast nur noch, wenn ich selber auflege. Jetzt habe ich aber einen eigenen Garten mit Garage, da wird dann „in the club“ gegrillt – mit Les Baxter, Duke Ellington oder Etta James aus der Boombox; so edle Opimucke eben, und wir trinken guten Rum. Den konnte ich mir, als ich 25 war, gar nicht leisten – für mich bedeutet Älterwerden also im Moment eigentlich, dass es viel geiler und entspannter ist als früher.
Demba: Meine Nachbarn haben vor kurzem gefeiert, da hab ich getanzt.
Based: Das Schwierige am Älterwerden ist nicht das Tanzen und Feiern, sondern am nächsten Morgen gutgelaunt den Kindern das Müsli zu mixen, verdammt!

Welches gemeinsame Erlebnis hat sich besonders positiv bei euch festgebrannt?

Demba & Alfi: Der Champagner-Flug im Learjet von dem WM-Eröffnungsauftritt 2006 in München nach Berlin, wo wir am selben Tag noch einen Gig im Treptower Park hatten. „Rockstah-Business“... Mmmmuhahahaha!!
Jerome: Das erste Mal auf dem Hurricane-Festival war sehr beeindruckend. Da waren mehr als 30.000 Leute vor der Bühne, die auf Kommando zusammen gesprungen sind. Sah aus wie hoher Seegang.
Pierre: Ein Gig in einem alten Amphitheater in Südfrankreich... Nein, ein Konzert in einem kleinen Club in Bologna, dessen Stromversorgung von dem ersten Basseinsatz am Anfang unserer Show überfordert war. Wir mussten uns für Bassboxen oder Licht entscheiden – kein Witz! Is´ klar, was wir genommen haben. Und dann 90 Minuten mit zwei glimmenden Funzeln praktisch im Dunkeln das Konzert gespielt. Ist ein bisschen ne Klischee-Antwort, aber ist so: der Süden hat´s mir allgemein, so vibe-mässig, am meisten besorgt.

Ok, Musikmachen, lange schlafen, all die duften Klischees. Aber neben der Arbeit als Musiker im Studio oder live gibts sicher auch ein paar Dinge, die man nicht so gerne macht. Was sind die nervigsten Jobs als Musiker von Seeed?

Dubmaster Reibold: Schleppen, warten, schleppen.
Pierre: Gesang aufnehmen, auswählen und editieren ist schlimm, da geht’s immer so ans Eingemachte. Und mixen, also einen Song abschließen – ekelhaft!
Demba: Interviews, lange Strecken mit dem Bus, schneiden und Software installieren
Based: Gema-Abrechnungen checken. Hab ich deswegen noch nie gemacht. Warten auf den Rechner, auf die Kollegen, den Soundcheck. Und bei Foto-Sessions ganz natürlich und smart auszusehen.

Was sind dagegen die Sahne-Seiten am Job „erfolgreicher Musiker“ bei Seeed?

Dubmaster Reibold: Schleppen lassen, Massage beim Warten, schleppen lassen.
Based: Gigs spielen, abbauen lassen und auf Aftershow-Partys abshaken.
Pierre: Dass sich einem Türen öffnen, die sich vorher nicht geöffnet haben. Das ist natürlich auch ein bisschen schweinisch... der-Teufel-scheißt-auf-den-größten-Haufen-mäßig. Jetzt, wo ich mir viel mehr leisten kann als früher, werden mir eher Dinge geschenkt. Bescheuert eigentlich und manchmal auch unangenehm! Aber dass man eher ernst genommen wird, kann natürlich wirklich sehr nützlich sein, auch im Positiven.

Orte, an denen ihr nie live spielen wollt?

Demba & Pierre: Orte die schlecht klingen.
Based: o2 World Berlin. Konzerte in Riesenhallen sind sowieso schon soundmäßig schwieriger umzusetzen, als Open Airs oder kleinere Clubs, aber die o2 World ist dazu das klobigste Symbol für die gesichtslose Kommerzialisierung einer Großstadt, die eigentlich einen wirklichen, eigenen Charakter hat.

Und Orte, an denen ihr unbedingt spielen wollt?

Pierre: Da gibt es sehr viele. Wir haben ja bisher nur in Europa gespielt, von einer Exkursion nach Südafrika abgesehen. Das ist etwas, worum ich z.B. Rammstein, um eine andere Band aus Berlin zu nennen, ganz einfach beneide. Die spielen in Mexiko, Australien, USA, Russland... Es gehört zwar auch viel Unangenehmes dazu, und auf eine wochenlange Tour mit ewigen Busfahrten durch die amerikanische Provinz könnte ich auch gut verzichten, aber einen Gig in San Francisco, Mexico-City, Buenos Aires oder auf den Galapagos-Inseln stelle ich mir sehr cool vor! Andererseits haben wir schönere Frauen im Publikum als Rammstein.
Alfi: Ein Reggae-Festival in Jamaika. Das wäre ein Home Run für mich!

Hattet ihr einen thematischen Ansatz, eine Art Konzept, welches ihr auf dem Album verfolgen wolltet? Zum Beispiel mehr live einzuspielen oder bestimmte Wörter nicht zu benutzen?

Dubmaster Reibold: Ja, ich glaube mich zu erinnern, dass sich Pierre mal gegen die Begriffe „SMS“, „Facebook“ und „Kreditkarte“ ausgesprochen hat.
Pierre: Den riesen Plan haben wir uns jetzt vorher nicht zurecht gelegt, letztendlich steht und fällt alles mit den Songs, die jemand schreibt - aber dass wir, wenn möglich, versuchen sollten, wie eine Band zu klingen, weil wir eben auch eine sind, war schon klar. Also haben wir auch viel live eingespielt. Ist nicht bei jedem Song die optimale Lösung, aber bei vielen eben doch.
Frank: Ich erinnere mich, dass Pierre, Demba und ich ein längeres Gespräch darüber hatten, wie das neue Album werden sollte. Der gemeinsame Nenner war auf jeden Fall „gut abgehangen“, um nicht zu sagen: „erwachsen“. Es fühlt sich im Moment an, als ob das neue Album unserem Ersten seinen ersten Platz in meiner persönlichen Bestenliste streitig machen könnte.

Habt ihr beim Arbeiten gemerkt, dass ihr euch weiterentwickelt habt? Dass euch bestimmte Sachen einfacher von der Hand gegangen sind?

Based: Ich kann jetzt auch im Logic 9-Programm Drums schneiden!
Pierre: Nee, einfacher nicht, aber ich finde, es sind wirklich viele gute Songs dabei. Die englischen Texte sind auch besser geworden, wir haben mehr Arbeit da rein gesteckt und dazu mit einem sehr guten Co-Schreiber – wir grüßen our man Billy Mann! – gearbeitet. Das hat auch deutlich mehr Bock gebracht als früher!
Jerome: Bestimmte Dinge gehen einem mittlerweile einfacher von der Hand. Das ist die Erfahrung. Aber gute Songs zu schreiben, bleibt schwer.

Welcher Song war die härteste Nuss, von der Idee im Kopf auf Band zu kriegen?

Pierre & Alfie: „Beautiful!“

„Beautiful“ ist ein gutes Stichwort. Es ist auffällig, dass ihr in vielen Songs den weiblichen Hintern erwähnt...

Pierre: Das hast du gut erkannt! Klar, es macht Spaß, darüber zu texten und zu singen. Mehr Spaß, als einen Song über die Bankkrise. Einen guten Bankkrise-Song zu machen, ist viel mehr Arbeit, oder vielleicht sogar unmöglich… Aber Ärsche sind ein dankbares, schnell und vielseitig zu bearbeitendes Thema! Das kommt auch echt von Herzen! Vielleicht sind wir auch nur simpel gestrickt oder einfach etwas spätpubertär. Ich weiß aber, dass wir zumindest den meisten Jungs aus dem Herz sprechen - also kann es nichts besonders Kaputtes sein…

Die erste Single-Auskopplung „Beautiful“ klingt nicht wie ein klassischer Seeed-Titel, wie beispielsweise „Augenbling“. „Beautiful“ klingt nach Crooner und Big-Band. Habt ihr euch bewusst entschieden, neben euren Wurzeln auch andere Stilelemente auszuprobieren, oder ist das während der Arbeit im Studio einfach passiert?

Pierre: Nee, ist nicht bewusst. Man hört ja auch ständig andere Mucke, die Vorlieben verschieben sich immer wieder. Ich liebe gut arrangierte, gut gespielte Musik – oft ist es ältere Musik. Jerome, unser Posaunist, rannte also offene Türen ein, als er in Missionars-Laune - die haben einige von uns manchmal - die „Far East Suite“ von Ellington rumgeschickt hat. Ich hatte „Beautiful“ als Song so grob geschrieben, und dann dachten wir, es wäre fett, da so Swing-mäßige Horns drauf zu packen. Wir haben auch total viel Zeug aufgenommen, letztendlich sind auf der Single dann gar nicht so viele Parts übrig geblieben, weil am Ende in der Kürze doch die Würze liegt. Immer wieder nehme ich mir vor: so, das muss jetzt mal das „Bohemian Rhapsody“ der Dancehall werden, so ‘ne richtige Oper. Aber meistens gefällt es mir dann doch nicht so richtig, wenn ein Stück länger als 3:30 min lang ist. Und das geht den meisten bei uns so, glaube ich.

Worin besteht der größte Unterschied zu den vorherigen Alben?

Jerome: Es gibt auf dieser Platte noch mehr Lovesongs!

Perfekter Schlusssatz… Vielen Dank!

 

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