Stormzy

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In den 18 Monaten seit der Veröffentlichung seines Debütalbums haben sich Stormzys Leben und seine Karriere grundlegend verändert. Er erlebte bereits einen Höhenflug, bevor „Gang Signs and Prayer“ im Radio und bei den Streaminganbietern durchschlug, doch der herausragende Erfolg der LP – wie der Name suggeriert eine plastische und packende Reise durch Soul, Gospel und Grime – katapultierte ihn in...

In den 18 Monaten seit der Veröffentlichung seines Debütalbums haben sich Stormzys Leben und seine Karriere grundlegend verändert. Er erlebte bereits einen Höhenflug, bevor „Gang Signs and Prayer“ im Radio und bei den Streaminganbietern durchschlug, doch der herausragende Erfolg der LP – wie der Name suggeriert eine plastische und packende Reise durch Soul, Gospel und Grime – katapultierte ihn in komplett neue Ruhmeshöhen. Der Junge aus Croydon, Sohn ghanaischer Eltern, ist nun ein Chart-toppender Künstler mit Preisen in Serie: ein Ivor Novello, zwei Brits und sechs MOBO Awards, um nur einige zu nennen. Wie findet sich der einstige Underdog Michael Omari mit seinem jetzigen Vorreiterstatus zurecht?

„So sehr ich jetzt an der Spitze agiere, gibt es doch immer noch so viele Underdog-Elemente an dem, was ich tue“, stellt er klar. „Ein perfektes Beispiel ist das Wireless (Festival). Ich bin ein Headliner-Act. Du hast J.Cole, DJ Khaled, mich, Drake und wer auch immer an dem Wochenende noch dort auftrat. Und so sehr ich ein Headliner-Act bin, bezweifle ich doch, dass sie von mir erwarteten, den Auftritt des Wochenendes vorzulegen. Womit ich nicht sagen will, dass ich nicht der selbsterklärte Auftritt des Wochenendes bin, eher in dem Sinne, dass es kein Gedanke gewesen wäre, zu sagen ‚ah yeah, Stormzy’s gonna fuckin’ win‘, einfach aufgrund der Kaliber der anderen Künstler neben mir, weißt du, was ich meine? In diesem Sinne fühle ich mich immer noch wie ein Underdog, zugleich bin ich mir sehr darüber im Klaren, nun an der vordersten Front mitzumischen. Ich bin jemand, der ständig das Gefühl hat, etwas beweisen zu müssen.“

Dabei geht es ihm offenbar nicht nur darum, sich selbst als Künstler zu beweisen, sondern dabei auch klarzustellen, wen und was er repräsentiert, selbst dann, wenn er als schwarzer britischer MC bisher nie dagewesene Gefilde beschreitet. „In diesem Land“, merkt er an, „sind (schwarze Menschen) nicht wirklich daran gewöhnt, Superstars zu haben. Verstehst du? Ein tatsächlicher Superstar, der schwarz ist. Damit will ich nicht sagen, dass ich der erste Rap-Superstar des Landes bin, man denke nur an Tinie oder Dizzee, aber du weißt, was ich meine – (nicht einer), der von der Community so viel Liebe bekommt... Ich habe das Gefühl, unsere Beziehung zum Starruhm ist ein wenig verquer. Wir waren es immer gewöhnt, dass der Künstler Staub aufwirbelt und dann verschwindet, nicht greifbar ist.“

Seinen Wurzeln treu zu bleiben, ist dabei womöglich leichter gesagt als getan: Schließlich sieht er dieser Tage nicht mehr allzu viele gang signs und ein Blick auf seine rapide wachsende Fangemeinde lässt den Schluss zu, dass seine prayers erhört wurden. Wie wird er weiterhin den Kontakt zu seinem Publikum halten selbst dann, wenn er sich von ihm wegentwickelt? Es ist eine Herausforderung, die er tief in sich bewegt hat und der zu stellen er sich bereitfühlt. „Es gibt immer eine Verpflichtung, dir treu zu bleiben, es wahrhaftig zu halten und nicht zu vergessen, wo du herkommst“, beobachtet er, „zugleich denke ich jedoch, dass es auch eine Verpflichtung gibt, über die niemand spricht, über die man aber sprechen sollte: alles klar, das ist großartig, aber ich bin jetzt hier. Ich lebe hier.“ Er macht eine ausholende Geste durch sein geräumiges Apartment, das in West London aufs Wasser blickt. „Ich gehe da draußen spazieren, es ist nicht gefährlich. Ich parke in einer Tiefgarage ... das bin ich heute“, betont er, mit einer Absichtserklärung, die der Kühnheit von „First Things First“ in nichts nachsteht, dem Eröffnungstrack seiner Debüt-LP. „Ich bin der Stormzy von heute und ich bin definitiv nicht mehr in der Hood, ich bin in einer komplett anderen finanziellen Situation, aber das sind die Fakten der Geschichte.“

Es gibt ein Thema, zu dem Stormzy immer wieder zurückkehrt: das der Authentizität, eine Leitfigur seines neuen Albums. „Wenn du Angst vor deiner Wahrheit hast“, erklärt er, „das ist der Punkt, an dem die Leute nicht mehr wissen, wo du herkommst. Und ich habe keine Angst vor meiner Wahrheit, nicht im Geringsten.“ Wie zur Betonung platziert er seine Faust fest in der Handfläche. „Ich denke, das ist eine Sache mit mir, für den Rest meiner Karriere. Von GSAP bis zu dem, was irgendwann mal mein letztes Album sein wird, ist die Quintessenz: er war ein Bad Boy. Nicht im Sinne von gewieft, sondern indem er sich selbst treu geblieben ist und kompromisslos war.“

Stormzys seltene Mixtur aus Swag, Soulfulness und Storytelling erinnert gleich in mehrerlei Hinsicht an Jay-Z. Und so überrascht es nicht zu erfahren, dass er viel von der Legende aus Brooklyn gelernt hat. „Er hat mir für den Rest meiner musikalischen Karriere eine Lektion erteilt, die ich nie wieder vergessen werde“, erinnert er sich. „Mit ‚4:44’ ist er ein Rapper jenseits seiner Blüte, jeder aus seiner Ära ist passé und er rennt mit all diesen neuen Kids herum – nicht einmal mehr die neuen Kids, die neuen, neuen Kids ... Als ich von (‚4:44’) hörte, ich will ehrlich sein, ich dachte: wie kann Jay-Z jetzt noch ein Album herausbringen? Und ich bin ein Jigga-Fan, aber ich war so: ‚Was hast du noch zu sagen?’. Und alles, was er tat, war: er erzählte aus seiner Sicht. Es war alles, was er tun konnte. Er versuchte nicht, einen auf ‚yeah, ich bin im Club mit Lil Pump, yeah, ich hänge immer noch im Block ab’ zu machen. Das nahm ich daraus mit. Alles, was er tun konnte, war über seine Beziehung zu Beyoncé sprechen, zu seinem Kind, seiner Mutter ... Wissen verbreiten aus der Position eines Milliardärs ... und doch unumstößlich, weil es die Wahrheit ist. Und das ist der Grund, wieso das Album solch einen Anklang fand.“

Es ist ein sicheres Zeichen für Stormzys Ambitionen, dass, wenn er von seinen Kollegen und größten Inspirationen spricht, er meist Musiker mit einer weltweiten Anziehungskraft erwähnt. Einer davon ist Ed Sheeran, mit dem er schnell eine enge Freundschaft entwickelte und dem er auf der Bühne der Brits für einen stürmischen Remix seines alles beherrschenden Hits „Shape Of You“ Gesellschaft leistete. Er scheint zu gleichen Teilen amüsiert und dankbar ob der Stärke ihrer Verbindung zu sein. „Es ist so verrückt, denn erstens ist Ed Sheeran weiß und rothaarig. Das ist schon mal das komplette Gegenteil von mir. Dass ich also allein schon mal in der Lage bin, seine Karriere in Bezug zu meiner zu setzen – einige Leute fragen mich: ‚Wieso schaust du nicht auf Dizzee Rascal oder Skepta oder jeden anderen schwarzen Künstler?’. Doch mit Ed, der Grund, wieso ich mich ihm so nahefühlte, war ... Ich sah jemanden, der vermutlich die einzige Person ist, bei der ich so werden will wie sie, hinsichtlich ihres Kalibers und dem, was sie tut. Die Anzahl an Platten, die er verkauft hat, die Anzahl an Nummer-1-Hits, die er hat, die Stadien, die er ausverkauft. Das schiere Gewicht seines Erfolges: die Grammys, die er gewonnen hat, die Brit Awards, die er gewonnen hat.“

Und es gibt eine weitere signifikante Ähnlichkeit, die Stormzy zwischen sich und Sheeran sieht, die einer der Grundpfeiler ihres Erfolges ist: sie sind beide „Männer aus dem Volk“. Der 25-Jährige mag nicht mehr länger zwischen der Straße und der Predigt wandeln, doch er bewegt sich immer noch zwischen zwei Welten: die der Prominenz und die des Jedermanns. Während Dizzee Rascal, um es in Anlehnung an den Titel seines wegweisenden Debüts zu sagen, der boy in the corner war, ist Stormzy der boy round the corner. Einen Moment stattet er „Love Island“ einen Überraschungsauftritt ab, der heißesten Reality-TV-Serie im UK-Fernsehen, im nächsten Moment singt er nach einer Fan-Anfrage über Twitter „Blinded By Your Grace” bei einer Beerdigung. Sein Bedürfnis danach, auf dem Boden zu bleiben, ist eine logische Folge seines Umfelds, das komfortabel, jedoch niemals großtuerisch ist; es ist nicht der Lebenswandel eines hedonistischen Entertainers, sondern eher eines Top-Athleten, der sich geradezu obsessiv auf sein nächstes Rennen fokussiert.

Natürlich scheut Stormzy nicht davor zurück, politische Statements zu machen. Denkwürdig war beispielsweise seine atemberaubende Performance bei den Brit Awards, bei der er die britische Premierministerin Theresa May für ihren Umgang mit der Grenfell Tower Brandkatastrophe anprangerte. Und doch ist ihm gerade mit seinem jetzigen Maß an Erfolg daran gelegen, keine Bergpredigten zu halten. Besonders da es seine Community in South London war, die ihn bedingungslos unterstützte, lange bevor die breite Masse ihn kannte. „Ich könnte mit meiner Herkunft niemals hierherziehen, mich auf den Balkon stellen und von dort aus rufen: ‚Okay Jungs, steckt die Messer wieder ein’, das ginge gar nicht und wäre komplett lächerlich. Auf diesem Album thematisiere ich es daher auf die einzig mögliche Art – und es ist verrückt, denn (mein enger Freund Flipz) sagte genau das zu mir, nachdem ich es ihm vorgespielt habe: ich spreche darüber aus der Wir-Perspektive. Denn es geht um uns. Es geht nicht um dich. Es ist nicht ‚yo, du, nimm dein Messer runter’, denn du magst dein Messer jetzt haben, aber ich hatte meines vor drei Jahren.“

Stormzy schien von Beginn an stets mehr als nur ein MC zu sein, sogar mehr als ein Musiker. Man nehme nur den Kurzfilm, in dem er die Hauptrolle spielte, um „Gang Signs and Prayer“ zu promoten, oder seine Rolle im Film „Brotherhood“ von 2016. Seine Neigung zum geschriebenen Wort hat ihren Ausdruck in der Gründung von Merky Books gefunden, dem neuen Verlag, den er in Zusammenarbeit mit Penguin Random House UK ins Leben gerufen hat. Für Stormzy war es ein natürlicher Schritt. „Ich bin ein Literatur-Liebhaber“, sagt er zu seinem neuen Unterfangen. Als Heranwachsender ein großer Fan von Malorie Blackman und nun von der Dichterin Yrsa Daley-Ward, verspürte er das Bedürfnis, seine Leidenschaft zum Ausdruck zu bringen. Und auf diesem Wege Möglichkeiten für Schriftsteller mit einem Hintergrund wie dem seinen zu kreieren.

Während ihm daran gelegen ist, jene in seiner Umgebung emporzuhaben, hat Stormzy zugleich den Blick fest auf internationalen Ruhm gerichtet – und doch hat ihn die Geschwindigkeit seines eigenen Aufstiegs manches Mal erschrocken. „Meine erste Show im Ausland war 2015 in Island“, erinnert er sich. „Es war der Wahnsinn, ich erinnere mich, dass ich noch nicht einmal einen Tourmanager hatte. Ich ging durch die Menge (zur Bühne) und die Leute waren so: ‚Stormzy! Oh shit!’. Ich bin einfach nur da durchgelaufen und die Leute sind durchgedreht.“ Ein Hauptgrund für den rasanten Anstieg seiner Popularität sind seine fesselnd energiegeladenen Live-Performances, die er mit der gesammelten Leidenschaft und Kraft eines Fußballers in den alles entscheidenden Momenten der Weltmeisterschaft angeht. In einem Moment hockt er in einer Ecke der Bühne und bereitet sich auf ein eindringliches Geständnis vor, im nächsten springt er auf und ab, als würde er verzweifelt versuchen, jedes Fleckchen der Bühne abzudecken. „Mein Körper und mein Kopf erlauben es mir nicht, an einem Punkt zu verweilen“, sagt er dazu und lächelt. „Mein Gehirn sagt: ‚Halt bloß nicht inne, es ist dir nicht gestattet, innezuhalten. Halte die Energie hoch. Du musst weitermachen – wenn du aufhörst, hören sie (das Publikum) ebenfalls auf’. Und es zahlt sich aus.“

Das tut es in der Tat: Seine Shows ernten sogar Lobeshymnen von einem der weltweit berühmtesten Frontmänner. „Ich spielte Glastonbury“, sagt er, „und ich werde niemals vergessen: Chris Martin kam anschließend zu mir und erwähnte eine Sache, von der er besonders überrascht war – und ich sah es ihm an, du weißt, wenn jemand es wirklich meint –, er meinte: es ist phänomenal. Die Sache, die ihn so beeindruckte war, dass ich das Publikum die gesamte Zeit über in meinem Bann hatte. ‚Wir haben die Augen nicht von dir genommen’, sagte er. ‚Niemand hat seine Augen von dir genommen.“

Nun, mit allen Blicken auf sich gerichtet, verpasst Stormzy also seinem zweiten Album den letzten Schliff. Und doch scheint er den Druck dabei so leicht zu tragen wie ein Paar seiner heißgeliebten adidas. Nachdem er die Brixton Academy dreimal ausverkaufte und durch Dutzende von Ländern tourte, zeigt er sich schon jetzt betont unbeeindruckt von dem Gedanken, die größte Spielstätte des UK zu füllen. „Ich werde das Wembley-Stadion spielen“, sagt er. „Einhundert Prozent. Ich habe nicht den geringsten Zweifel.“ Der Schlüssel zu seinem Selbstvertrauen ist simpel: „Ich habe das Gefühl, den Code zur Musik gefunden zu haben“, sagt er, „es ist Wahrheit. Wenn ich den Riddim höre und ich ihn liebe, ist das meine Wahrheit.“ Ein perfektes Beispiel dafür, so sagt er, ist „Purple Rain“ von Prince. „Um ehrlich zu sein kenne ich nicht viel von seiner Arbeit, aber wenn er sagt ‚I don’t want to be your weekend lover’? Die Art, wie er es singt? Da ist so viel Wahrheit drin, dass ich es glaube.“ Nun, da Stormzy offenbar seine Zauberformel gefunden hat, darf die zusehende Welt gespannt sein. „Sprich deine Wahrheit“, sagt er schulterzuckend. „Das ist ein idiotensicherer Plan.“

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