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Biografie
Travis Barker hat noch nie das Tempo gedrosselt. Seit er die schmutzigen Overalls eines Laguna-Beach-Müllmanns gegen seinen Platz hinter dem Schlagzeug bei der weltweit einflussreichsten Pop-Punk-Band eintauschte, hat er seinen Sticks nur immer noch weitere Kerben hinzugefügt. Er trägt die meisten seiner Projekte mit sich in die Zukunft, ganz so wie die Tattoos, die seine Haut bedecken: jedes einzelne ist faszinierend, doch in der Summe sind sie schlichtweg legendär. Fragt man Barker, was er in der letzten Zeit so gemacht hat, wird er antworten: „Einfach nur mit Leuten, die ich liebe, an Sachen gearbeitet, für die ich brenne – und alles andere außen vor gelassen, weißte?“ Doch so lässig es klingt: Barker ist nichts weniger als eine Einmann-Kulturindustrie.
Nach rund zwei Dekaden im Scheinwerferlicht ist Barker heute: Vollzeitmitglied von Blink-182 und Transplants; der exklusive Album-Drummer für Goldfinger und FEVER 333 (deren Grammy-nominiertes Album er auch produzierte); der Moderator der jährlichen südkalifornischen Festivals Musink und Back to the Beach; ein Gastronom mit Anteilen sowohl am gehobenen veganen Crossroads Kitchen als auch am Skater-freundlichen Wahoo's Fish Taco; der Bekleidungs-Guru hinter Famous Stars & Straps und DTA Posse; und der Kopf zweier Plattenlabels, seinem Herzensprojekt LaSalle Records sowie DTA Records, das Teil eines Joint Ventures mit der Elektra Music Group ist. Und damit sind noch nicht einmal die Kollaborationen mit einem Wort erwähnt, die Remixe, Songwriting, Produktion und das Performen mit einer faszinierenden Bandbreite von Künstlern umspannen.
Es hat seinen Grund, dass Barker zwischen seinen Soloalben Jahre vergehen lässt. „Arbeit für andere Künstler abzuliefern ist so viel cooler, als zu sagen: ‚Ich habe das für mich getan’“, sagt er. Sicher, schlussendlich wird der Nachfolger zum 2011 veröffentlichten Give the Drummer Some erscheinen (auf dem von Slash über RZA bis zu Steve Aoki alle mitwirkten), aber wer auf den Nachfolger pocht, übersieht dabei leicht: Barker bringt ständig so viel Musik hervor, dass sie in der Summe locker mehrere Alben ergibt. Allein in der ersten Hälfte von 2019 recordete oder releaste er komplette EPs mit 03 Greedo – der in Barkers Studio kam, bevor er 48 Stunden später seine Gefängnisstrafe antrat – und $uicideboy$. Für Letzteres holte er Munky mit rein, da er zufällig auch gerade an KoЯns neuem Album arbeitete. Zur selben Zeit wurde er im Studio mit UnoTheActivist, Pharrell, The Game und nothing,nowhere gesichtet. Des Weiteren veröffentlichte er Songs mit Lil Nas X, Machine Gun Kelly, YUNGBLUD, Halsey, und zu (sehr) guter Letzt remixte er einen Track von Lil Peep und XXXtentacion Track.
„Zwei Wochen bevor er starb, schickte Peep mir ein Video, wie er [Blinks] ‚I Miss You’ bei einem seiner Konzerte spielt. Wir sprachen darüber, gemeinsam ins Studio zu gehen, doch dann passierte das Tragische“, erinnert sich Barker. „Ich fühlte mich so geehrt von der Tatsache, dass viele dieser jungen Künstler von der Band beeinflusst wurden. X sagte dasselbe: ‚Ich bin mit euch Jungs aufgewachsen.’“
„Es ist großartig, dass der Sound, den wir vor 20 Jahren erschaffen haben, immer noch Relevanz besitzt und die Musik von heute inspiriert.“ Nicht minder großartig ist es freilich, dass Barker weiterhin aktiv daran beteiligt ist, den Sound einer neuen Generation mitzuformen und Blink-182 diesen Herbst sogar ihr achtes Album NINE veröffentlichten. Es spricht für sich, dass Lil Nas X's „F9mily (You & Me)“ eigentlich ein Blink-Demo sein sollte, jedoch sicherte es sich der aufstrebende Star zuerst. Tatsächlich nahmen die meisten von Blinks neuen Songs als Barker-Produktionen ihren Anfang.
Dass Barker so viel mit Rap-Künstlern arbeitet, die sich bei Emo und Punk bedienen, ist, wie er es formuliert, „eine wunderbare Sache“. Als er in den 80ern im kalifornischen Fontana aufwuchs, akzeptierte er schlicht, dass – da er ein Live-Drummer war – er niemals in der Lage sein würde, dem Rap etwas zurückzugeben, ein Genre, dass er ebenso sehr liebte wie Punkrock.
„Es war so: ‚Oh, eine Drum Machine ist verantwortlich für diese Musik“, erinnert er sich bedauernd. Doch die Zeiten haben sich geändert, stilistische Abgrenzungen verschwammen und auch Barkers Ansatz entwickelte sich. Seinen ersten Beat machte er 2005 auf Anfrage von Bun B von UGK, der ihm einen Tag gab, um ihn einzureichen. „Das war gewissermaßen die großartigste Herausforderung überhaupt“, sagt Barker dazu. „Seitdem habe ich die Überzeugung, dass nichts unmöglich ist.“ Im Grunde ist es jedoch nie anders gewesen: Barker ist stets mit den Herausforderungen gewachsen. 1998 drummte er bei Aquabats!, die bei einem Konzert von Blink-182 Vorband waren. Als denen plötzlich der Drummer von der Stange ging, erklärte sich Barker kurzerhand bereit einzuspringen. Er lernte binnen 45 Minuten ein 20-Song-Set und rockte die Show. 1999, als Enema of the State herauskam, war er nicht einfach nur in der Band, sondern bereits federführend an einigen der Veränderungen beteiligt, die das Werk binnen zwei Jahren zum internationalen Multi-Platin-Erfolg führten. Seitdem ist er ein unentbehrlicher Bestandteil von Blink (und Spin-offs wie Box Car Racer und +44). Und bis heute hat er die Angewohnheit, sich auf der Bühne in der letzten Minute zu Bands zu gesellen, ob nun Run the Jewels beim Coachella oder Strung Out beim Musink, der Musik- und Tattoo-Convention, die Baker kuratiert.
„Es gibt etwas an der Performance und dem Lohn“, sagt Barker, „in der Lage zu sein, etwas spontan zu erschaffen und augenblicklich mit der Welt zu teilen.“ Einmal mehr geht es um Geschwindigkeit. Es gab zahllose Gelegenheiten, bei denen Barker gut daran getan hätte, das Tempo zu drosseln – Gelegenheiten, in denen jeder andere Mensch dies getan hätte. Er hat Goofy gespielt, als er einmal den rechten Fuß gebrochen hatte, einhändig mit der anderen im Gips, während er sich von Hauttransplantationen nach einem überlebten Flugzeugabsturz erholte, und mit frisch verheilenden Blutgerinnseln nach einem Autounfall. Er spielte brillant selbst im Angesicht persönlicher Verluste, vieles davon ist in seinen 2015 veröffentlichten Memoiren Can I Say dokumentiert. Doch nach jedem Rückschlag kam Barker nur noch schneller zurück. „Das ist es einfach, was mich glücklich macht“, sagt er. „Produktivität. Fortschritt. Entwicklung.“
Und doch: woher nimmt ein Typ, bei dem ständig so viel los ist – ganz zu schweigen von drei Kindern und einer akribisch gepflegten Cadillac-Sammlung – die Zeit für einen endlosen Strom neuer Musik mit einer endlosen Liste an Kreativpartnern? Die Antwort, in typischer Barker-Manier, lässt selbst all die extreme Produktivität und grenzenlose Kreativität maximal entspannt klingen. Von Zeit zu Zeit öffne er sein Studio für eine Woche und lade sein Umfeld zum Kommen ein. „Du weißt nie, wer da sein wird, wenn du die Tür öffnest“, sagt er mit einem Lächeln. „Und dann denken wir uns einfach eine Menge Zeug aus und schauen, was passiert.“