White Reaper

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White Reaper sind die letzte große Rockband – oder vielleicht schlicht die erste der großen neuen: schnell, laut, entschlossen und wagemutig. Ihre musikalische Erbfolge führt zurück zum selben Inspirationsquell, der uns die kompromisslosen Klangexplosionen von Van Halen und den konzentrierten Power-Punk der Ramones brachte, mit mehr als einer Prise des draufgängerischen Pop-Rock von Cheap Trick. Anders gesagt: White Reaper machen...

White Reaper sind die letzte große Rockband – oder vielleicht schlicht die erste der großen neuen: schnell, laut, entschlossen und wagemutig. Ihre musikalische Erbfolge führt zurück zum selben Inspirationsquell, der uns die kompromisslosen Klangexplosionen von Van Halen und den konzentrierten Power-Punk der Ramones brachte, mit mehr als einer Prise des draufgängerischen Pop-Rock von Cheap Trick. Anders gesagt: White Reaper machen konsequent die Art von Musik, bei der man sein Autoradio aufdrehen und zu schnell fahren will.

Beschrieben von Vice als „eine Arena-Rockband, gefangen im Körper einer Garage-Band“, hat sich das Quintett – mit zwei Lead-Gitarristen – kompromisslos dem Rock verschrieben. Und das in Zeiten, in denen böse Zungen behaupten, Rock sei tot.

„Es ist eine Frage, die uns die Leute permanent stellen, als wären wir bei diesem Thema eine Art Autorität. Ich weiß nicht, ob Rock tot ist. Und um ehrlich zu sein ist es mir auch ein bisschen egal“, sagt Frontman Tony Esposito. „Nach meinem Gefühl ist unsere Band eine Rockband. Ich wüsste nicht, wie ich sie anders beschreiben sollte und ich schäme mich nicht, eine Rockband zu sein. Sollte Rock tot sein, tja nun...“, verstummt er. „Wenn du nach unserer Musik fragst, kommt mir das Word ‚poppig’ in den Sinn. Ich meine, man kann schwerlich sagen, dass wir ‚heavy’ sind...“

White Reaper sind Pop auf die Weise, wie die frühen The Who und Joan Jett zu „Bad Reputation”-Zeiten es waren. All die komprimierte Wut und Frühe-20.-Jahrhundert-Unsicherheit zu straffen Songs geschmiedet, mit viel Bums und genau der richtigen Prise Pop.

Seit Grundschulzeiten befreundet (mit Ausnahme des jüngsten Mitgliedes Hunter Thompson, den sie kennenlernten, als sie beim SXSW 2016 in seinem Haus in Austin wohnten), gründeten Sänger-Gitarrist Tony Esposito, Drummer Nick Wilkerson und sein Zwillingsbruder, Bassist Sam, in der Highschool eine Band, die sie New Mexico nannten, inspiriert vom Punk-Getöse der Misfits, Minor Threat, der Ramones und –  merkwürdigerweise – der Beach Boys. „Nun, die Ramones sind im Grunde die Beach Boys“, sagt Esposito dazu verschmitzt.

Ihre frühen Tracks erregten die Aufmerksamkeit von Polyvinyl Records, wenig später wurden sie von dem Indie-Label unter Vertrag genommen. Im Juni 2014 waren sie in einem Studio und nahmen ihre selbstbetitelte EP auf: ein 16-minütiger Sprint durch sechs Songs, strotzend vor suburbaner Langeweile und Sehnsucht.

Als sie ihre Arbeit im Studio beendeten, stellten sie fest, dass sie zwar Keyboard-Parts geschrieben hatten, jedoch keinen Keyboarder hatten. Daher holten sie einen weiteren Schulfreund an Bord, Lynyrd-Skynyrd-Enthusiast Ryan Hater, der ihre Wirbelwind-Ästhetik fortan um seine eigenen Classic-Rock-Färbungen ergänzte

White Reaper entwickelten sich zu einem beeindruckenden Live-Act, von Haters wildem Headbangen bis zum Spielen des Keyboards mit seinen Zähnen, von Espositos steifbeiniger Rock-Action-Pose und seinem aus den Angeln gehobenen Vortrag bis hin zum intuitiven rhythmischen Zusammenspiel der Wilkerson-Brüder, so sehr Blutsverbindung wie ESP. Thompsons Cool-wie-ein-Hecht-Leadgitarrenspiel katapultiert die Band auf ein neues Performance- und Souveränitätslevel, die Mehrhalsgitarre ruft Erinnerungen an die legendären Thin Lizzy wach.

Obwohl sie aus Louisville kommen und es dort ganz sicher eine blühende Musikszene gibt, sind White Reaper nicht Teil davon. Die Band hat mehr mit dem berühmtesten Export von Louisville gemeinsam, dem dreifachen Schwergewichts-Champion Muhammad Ali. Seine „I am the greatest“-Tiraden und seine kämpferische Hingabe um zu beweisen, dass er es tatsächlich war, waren die Inspiration hinter den ersten beiden Albumtiteln von White Reaper: der unbekümmerte Charme ihres spritzigen Debüts White Reaper Does It Again, gefolgt von der großspurigen Geltendmachung von Rock-Kompetenz ihres 2017 veröffentlichten Nachfolgers The World’s Best American Band.

Für ihr drittes Album änderte sich etwas. Neu bei Elektra Records unter Vertrag, verspürten White Reaper für dieses dritte Album nicht den Drang, seine Ankunft mit einem markigen Titel anzukündigen. Die Musik erledigte dies für sie. „Wir sind Knalltüten – und werden es immer sein –, aber wir waren durch mit den Witzen“, sagt Esposito. „Wir wollten unserem Album einen Namen geben, der kein Witz war. Also nannten wir es You Deserve Love.“

„Der Titel kam aus einer Notiz auf Sams Telefon“, fährt Esposito fort. „Er hatte Begriffe aufgeschrieben, von denen er dachte, sie könnten gute Albumtitel ergeben. Eines Abends – wir hatten gerade unsere Aufnahmen abgeschlossen – saßen wir in einer Bar in Nashville herum und quälten uns mit der Frage, wie wir das Album nennen sollten.“ „Ich begann, sie der Reihe nach laut an der Bar vorzulesen, und bei You Deserve Love unterbrachen mich alle“, fügt Sam Wilkerson hinzu. „Ich finde ihn cool, weil er auf jeden zutrifft. Ich denke, das ist es doch, was jeder von uns hören will.“

„Vor allem jedoch besitzt der Titel eine ultimative Wahrheit. Jeder verdient Liebe. Zumindest die meisten Leute“, fährt Esposito fort. „Wir wollten einfach etwas Nettes, denn wir dachten uns: das Internet ist dieser Tage so überflutet von negativer Energie und hasserfüllten Dingen. Als unser Album Thema wurde, hatten wir nicht das Gefühl, 2019 sei die beste Zeit, die World’s Best American Band zu sein. Vielmehr dachten wir, es sei eine bessere Zeit für alle, mal runterzukommen, sich einfach zu entspannen und zu tun, wonach sie sich fühlen.“

Tatsächlich waren die Aufnahmen des Albums entspannender für White Reaper. Für ihr letztes Album World’s Best American Band kam die Band komplett unvorbereitet ins Studio: keine Demos, keine vorab geschriebenen Songs, noch nicht einmal eine Vorstellung von der Richtung, in die sie gehen wollten. „Beim letzten Album gingen wir einfach rein und machten drauf los“, merkt Hater an. „Es gab keine Gelegenheit, Dinge zu überdenken, was ihm einen ganz bestimmten, rauen Charakter verlieh, aber auch seine Schönheitsfehler.

„Ich war nicht abergläubisch dahingehend, es auf diesem Album nicht auf dieselbe Weise zu tun“, sagt Bassist Sam Wilkerson. „Ich denke, bereits Songs in der Tasche zu haben ist wertvoller [als die Spontaneität des letzten Albums].“

Dies mag zu einem Großteil damit zu tun haben, dass sie mit dem Produzenten Jay Joyce aus Nashville ins Studio gingen, der mit so unterschiedlichen Künstlern wie Cage The Elephant, FIDLAR, Brandi Carlile und Eric Church gearbeitet hat.

„Wir sagten kein Wort, als wir mit Jay ins Studio gingen“, kommentiert Esposito. „Wir teilten ihm nicht mit, ‚Es muss klingen wie 1977’ oder sowas. Wir dachten von unseren Songs als Songs und daran, dass wir versuchen wollten, ihnen einen guten Sound zu verpassen – weniger daran, sie wie andere Sachen aus der Vergangenheit klingen zu lassen, sondern eher daran, dass sie für sich stehen und jeder Song anders klingt.“

Und genau das tun sie. Es sind elegante, scharfsinnige Songs über Zweifel, Entwurzelung und flüchtige, oftmals komplizierte Liebe. Trotz der großen Gitarren, furiosen Rhythmen und schnellen, eingängigen Melodien sind die Songs oft in eine dunklere Verschalung gehüllt, ein Ausdruck der hart erkämpften Weisheit einer Band, die mehr vom Leben gesehen und gefühlt hat, als man mit Blick auf ihre gesammelten Lebensjahre vermuten würde. Vielleicht haben sie aber auch einfach nur eine Menge Filme von Richard Linklater geschaut, denn ganz so wie in dessen Filmen, fangen ihre Songs Außenseiter an entscheidenden Wendepunkten ihres Lebens ein, an denen sie Aha-Momente erleben, wenn sie die Dinge auf einmal klarsehen und realisieren, dass diese sich nicht etwa so entwickeln, wie sie es wollen, sondern vielmehr so, wie es ihre Bestimmung ist.

„Nach meinem Gefühl sind viele unserer Songs tendenziell Schlussmach-Songs und nicht besonders fröhlich“, räumt Esposito ein. „Als ich aufwuchs, war das die Art von Songs, die ich hörte. Als ich lernte, Songs und Texte zu schreiben, sagte ich mir: ‚Es ist okay, über Liebeskummer zu schreiben, oder?‘. Denn jeder Song, den ich hörte, handelte davon. Also dachte ich mir: so etwas sollte ich auch schreiben. Ich würde sagen, es kam ganz natürlich aus mir heraus.“

Esposito ist der hauptsächliche Songwriter von White Reaper, und doch würde es ihm nicht gerecht werden, ihn einen Liebes-Pessimisten zu nennen. „Ich denke, ich sehe die Dinge mehr wie sie sind, im Guten wie im Schlechten“. Diese Haltung spiegelt sich in vielen Tracks des Albums wider: die Unentschlossenheit und am Ende zum Scheitern verurteilte Ambivalenz von „Real Long Time“, die Stiche, die es einem versetzt, wenn man die Ex sieht und sie offensichtlich über einen hinweg ist, und die luftige, eskapistische Liebschaft mit einer wunderschönen Witwe und einem schnellen Auto auf „1F“, benannt nach einer Autobahnabfahrt in Cincinnati.

Und doch ist dies nicht nur ein Album über enttäuschte Liebschaften und tragische Beziehungsenden. An manchen Stellen fühlt es sich an wie eine Notiz aus Espositos iPhone, an anderen wie Seiten eines Tagebuches, das er unter seiner Matratze versteckt, ehrlich und aufschlussreich. Und dann gibt es Songs aus reinem Spaß an der Freude, „Eggplant” beispielsweise, geschrieben, nachdem Esposito chinesisches Takeaway-Essen hatte, oder „Saturday“, mit seiner großen Zeppelin-Eröffnung, die dann Platz für einen schleppenden Dub-Beat und träge Gitarren macht, zu denen Esposito darüber nachsinnt, wieso Trinkabende in Clubs ihren Glanz verloren haben. Andere Songs wirken wie Auszüge aus einem Ratgeberbuch – eine Reihe von „Notizen an mich selbst“, die Esposito zusammentrug, während er in diesen angespannten Zeiten durch das Leben schiffte. „Headwind“ ist eine eindrucksvoll präzise Beschreibung dessen, was White Reaper durchlebten, um an diesem Punkt in ihrer Karriere anzugelangen – ein gnadenlos ehrlicher Begleitsong. „Hard Luck“ ist aufschlussreich hinsichtlich der Frage, wie der Blick von unten aussehen kann, endet aber in einem hoffnungsvollen Ton, wie auch die meisten der übrigen Songs (eine nennenswerte Ausnahme bildet der herausstechende Track „Might Be Right“, der davon handelt, aufzuwachen und das das ungute Gefühl zu haben, dass in der vorherigen Nacht etwas Schlimmes geschehen ist).

Der vielleicht vollkommenste Track ist der Titelsong, geschrieben um den neuen Gitarrist Hunter Thompson davon zu überzeugen, der Band beizutreten, als dieser noch unschlüssig war. Über wirbelnde Gitarren, pirschende Bässe, eine nervöse Orgel und schlagkräftige Drums entfaltete die Maßnahme ihre Wirkung: nachdem er seinen Abschluss in der Tasche hatte, willigte der Gitarrist aus Texas ein, vollwertiges Mitglied der Band zu werden. „Ich wusste im Grunde [dass der Song über mich war]“, sagt er. „Ich denke, die Lyrics handeln von einer Zeit nach den ersten paar Jahren in der Band, als ich hin- und hergerissen war zwischen White Reaper und meinem Schulabschluss in Austin. Meine Eltern wollten unbedingt, dass ich den Abschluss mache und ich musste eine Menge Arbeit, Aufwand und Geld investieren, um gut in der Schule zu sein. Nicht sehr Rock and Roll, ich weiß.“

Das ist jedoch die vielleicht einzige Sache an White Reaper, die es nicht ist.

Dieses Album hat die Band aus ihrer frühen, zerlumpten, strikt auf Punk ausgerichteten Phase gestemmt und ihr Songschreiberhandwerk auf ein Niveau weit jenseits der simplen Strukturen vergangener Alben ausgeweitet. You Deserve Love bringt sie dem Ideal jenes Sounds näher, den sie in ihren Köpfen allesamt bereits seit einer Weile gehört haben.

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