26. Mai 2023

Da helfen auch die "Rosa Pillen" nicht: Shari über kollektive Einsamkeit im Nachtleben

Die Kameras sind abgeklebt, Schweiß rinnt von nackter Haut, vor den Toilettenkabinen tummelt sich der Zombie-Mob, vergeblich auf der Suche nach echten Gefühlen.

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Der Bass scheppert, das Stroboskop bäumt sich unsanft gegen die Finsternis auf und therapiert geweitete Pupillen. Die Kameras sind abgeklebt, Schweiß rinnt von nackter Haut, vor den Toilettenkabinen tummelt sich der Zombie-Mob, vergeblich auf der Suche nach echten Gefühlen. Dreißig Stunden Sinnesüberreizung und Ekstase gegen die Traurigkeit, "Verstecken im Dunkeln, bis einer aufgibt". SHARI kennt diese endlosen Nächte in "Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain", die einen irgendwann unwirsch ins gleißende Tageslicht ausspucken und von denen am Ende nur der Tinnitus bleibt. "Rosa Pillen", die neue Single der Wahlberlinerin, erzählt von kollektiver Einsamkeit im Nachtleben, trügerischen Glückshelfern und innerer Kälte in warmen Jahreszeiten. Unten gibt es das Musikvideo zum Track zu sehen. 

Ähnlich wie SHARIs zuletzt erschienene Single "Augen zu" eröffnet auch "Rosa Pillen" viel Spielraum für Interpretationen aller Art. SHARI zeichnet innerhalb weniger Zeilen etliche einprägsame Bilder auf Großleinwand, ohne in ihren Aussagen unromantisch explizit zu werden. Ähnlich wie die "rosa Pillen gegen Paranoia" selbst, entfalten die Lyrics ihren Charme in bittersüßer Illusion und pittoresker Tragik — "schwarze Autos machen dich zum Träumer, sie senden Liebe in die Hinterhäuser". Die Message liegt niemals auf dem Silbertablett, das macht sie umso unmissverständlicher.

Soundseitig fühlt sich "Rosa Pillen" an wie ein polychromer Rausch — hypnotisierend, frenetisch, nachhallend, gleichzeitig verräterisch clean und in sich ruhend. Die aufwendige Produktion, kreiert von Freddy Rochow, entfaltet ihre schummrige Grundatmosphäre einmal mehr durch von SHARI höchstpersönlich eingesungenen Vocal-Samples. Sie bilden die Grundsäulen im Beat, fließen im Laufe des Stückes immer multidimensionaler ineinander und simulieren einen mehrstimmigen Chor. Begleitet von unaufdringlicher Drum’n’Base-Rhythmik, bricht sich in der Hook eine erhabene wie unheilvolle Bassspur Bahnen, die "Rosa Pillen" endgültig zur epischen Ballade werden lässt.