Biffy Clyro

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Im Herbst 2019 schauten Biffy Clyro im Studio Two der Abbey Road Studios vorbei. Sie sahen Rob Mathes, Streicherarrangeur für Bruce Springsteen und Sia, dabei zu, wie er ein dreißigköpfiges Orchester durch ihren neuen Song „The Champ“ leitete. Von diesem Moment, in dem ihre Idee am wohl geschichtsträchtigsten Ort in der Geschichte der populären Musik verwirklicht wurde, war die Band...

Im Herbst 2019 schauten Biffy Clyro im Studio Two der Abbey Road Studios vorbei. Sie sahen Rob Mathes, Streicherarrangeur für Bruce Springsteen und Sia, dabei zu, wie er ein dreißigköpfiges Orchester durch ihren neuen Song „The Champ“ leitete. Von diesem Moment, in dem ihre Idee am wohl geschichtsträchtigsten Ort in der Geschichte der populären Musik verwirklicht wurde, war die Band völlig überwältigt.

„Du hast eine Idee und am nächsten Tag sind da dreißig Leute, die sie in einem Raum spielen, in dem The Beatles einen Gutteil ihrer besten Musik machten“, sagt Frontmann Simon Neil, immer noch ganz außer Atem beim Gedanken daran. „Diese Momente verlieren nie ihren Zauber. Man denkt bei sich: ‚Kann das bitte niemals aufhören?’“

Solche Szenen waren undenkbar, als die Band – komplettiert durch die Johnston-Brüder James (Bass) und Ben (Drums) – einst begann. „Wir denken oft an die Zeiten zurück, in denen wir keine Bleibe hatten und unser Essen mit einem Heizkörper erwärmten“, fährt Simon fort, und James und Bens amüsiert entsetzte Gesichtsausdrücke machen deutlich, dass er keinen Deut übertreibt. „Es erinnert uns daran, wie glücklich wir uns schätzen können.“

Das breite, strahlende Lächeln in ihren Gesichtern lässt ebenso wie ihr ausgelassenes Gelächter darauf schließen, dass Biffy Clyro 2020 in einer sehr guten Verfassung sind. Dafür gibt es einen Haufen Gründe, doch einer sticht ganz besonders heraus: ihr kommendes, achtes Album ist das beste ihrer Karriere.

Das vergangene Jahrzehnt war für viele Menschen eine düstere Zeit, eine Sintflut des Schreckens, in der schlechte Nachrichten die Normalität waren. Nun jedoch ist es – in den Worten großer musikalischer Vorväter ihrer Nation – an der Zeit zu „rip it up and start again“.

„Dieses Album hat den Blick nach vorn gerichtet, sowohl aus persönlicher als auch gesellschaftlicher Perspektive“, erklärt Simon. „Der Titel handelt davon, die Schönheit an Veränderung zu sehen anstatt das Traurige. Veränderung bedeutet Wachstum und Entwicklung. Du kannst alles bewahren, was du zuvor geliebt hast, aber lass uns einiges von dem negativen Scheiß loswerden. Es geht um den Versuch, die Kontrolle zurückzuerlangen.“

Dieser Plan manifestiert sich auf unterschiedliche Weisen. Auf der persönlichen Ebene kann es eine Beziehung sein, die einen Punkt erreicht hat, an dem es im Interesse beider Seiten ist, sich zu trennen. Auf einer breiteren Ebene geht es darum, für seine Überzeugungen einzustehen. Oder, in Simons Worten: „Leere Töpfe klappern am lautesten. Menschen mit den richtigen Werten sprechen nicht so laut wie solche mit den extremeren Sichtweisen. Ich denke, das Gute in den Menschen kann und wird siegen. Ich finde es so spannend, wie diese Generation die Welt zu einem besseren Ort machen kann.“

Über den Verlauf ihrer sieben bisherigen Alben haben Biffy Clyro die Charts getoppt, waren Headliner bei diversen riesigen Festivals, sind rund um den Globus aufgetreten und haben zahllose Preise gewonnen. Was also tun mit dem achten Album? Die Antwort, sind sie sich einig, lautet: sich das Frische und Unverbrauchte zu bewahren und weiterhin mit großen Augen über das staunen, was sie tun. Sich überraschen, selbst und gegenseitig. Die Dinge bis zu ihren äußersten Extremen treiben.

Nur verständlich, dass sie bei dieser Herangehensweise Zweifel beschleichen, bevor sie das erste Mal den Play-Knopf des fertigen Produktes betätigen. „Du hast das Gefühl, dass etwas gut wird, du hoffst, dass es gut wird und dann übertriffst du deine Erwartungen bei Weitem“, lächelt James. „Es gibt nichts Schöneres.“

Es mag unlogisch klingen, doch Biffys erster Baustein beim Erschließen des Neuen war es, sich an einen alten Freund zu wenden: Rich Costey, Producer des letzten Studioalbums „Ellipsis“ (2016, #1 u.a. der UK & deutschen Charts). Die Theorie hinter dieser Wahl ist einleuchtend: wenn du eine verrückte Idee hast, verlass dich auf jemandem, dem du vertrauen kannst, wenn es um ihre Umsetzung geht.

Dieser Spielwitz durchzieht nahezu jeden Moment des Albums. Der Eröffnungstrack „North of No South“ knallt hart rein, bevor sich der Raum für die Brüder öffnet, die ihn mit gleißenden, Queen-esken Vokalharmonien zu füllen wissen. „Wenn es dir nicht davor bammelt, es live zu bringen“, schmunzelt James, „hast du dir von vornherein nicht genug Mühe gegeben.“

Simon fügt hinzu: „Es gibt zwei Fragen, die ich mir jeden Morgen stelle: was würde Freddie tun und was würde Greta tun? Und Freddie würde genau das tun.“ Kleine Hilfe für arglose Morgenmenschen: Simon besser aus dem Weg gehen, bis er sein Frühstück gehabt hat.

Auch dem zweiten Track haftet einen Hauch klassisches Queen an, zumindest, wenn sie in der Roger-Moore-Ära einen Bond-Titelsong aufgenommen hätten. In etwas über drei Minuten finden Piano, cineastische Streicher und Biffys charakteristisch gezackte Rhythmen zusammen, ohne dabei je ihre Geschmeidigkeit zu verlieren. „Es ist sexyer als alles, was wir je gemacht haben“, merkt Ben an. „Es geht von glänzend zu sexy.“

„Tiny Indoor Fireworks“ und „Space“ sind wesentlich direkter. Ersteres ist der beste Popsong, den sie je geschrieben haben, schwungvoll, melodisch, leichtfüßig, zugleich fühlt er sich so unbefangen an – man könnte glatt denken, er sei in wenigen Minuten entstanden. Die Botschaft, so Simon, ist ebenfalls simpel, ihre Umsetzung indes ungleich schwieriger: „Manchmal funktionieren die Dinge nicht, aber das gehört zum Leben dazu. Also bete für bessere Tage.“

„Space“ tritt derweil das natürliche Erbe ihrer Feuerzeuge-in-die-Luft-Highlights „Many of Horror“ und „Rearrange“ an. Es schickt eine aufrichtige Botschaft der Versöhnung an eine geliebte Person und gehört zu den zartesten, ungeschütztesten Momenten in Biffys Katalog.

In Biffys Welt führt die Ruhe zum Chaos, womit wir bei der ersten Single „Instant History“ wären. Sie wurde dazu erkoren, da es laut Simon „die abwegigste Sache ist, die wir auf dem Album haben. Es ist der größte, knalligste Pop-Moment, an dem wir je gearbeitet haben.“ Das Anti-Retro-Gefühl des Songs wird angeführt von bombastischen Synthies – Klänge, die neu für die Band sind, jedoch kein Stück weniger dramatisch als der eröffnende Schlachtruf von „The Captain“ (2009).

Wie kann man ein Album von solch rätselhafter Vielfalt abschließen? Biffy springen kopfüber in das autobiografische „Cops Syrup“. Es hat das wilde Trommelfeuer von „The Vertigo of Bliss“ (2003), einen Abstecher in den Sub-Pop-Grunge und manische Schreie, die auch auf einem Liturgie-Album ihren Platz hätten. Dann jedoch dreht es sich erneut um die eigene Achse, zunächst durch himmlische Orchestrierung und dann mit einem finalen Gewaltausbruch. Ein Ende zum Feiern.

Es ist das Produkt von Biffys ungewöhnlicher Band-Dynamik. Ein Song, der nicht passieren könnte, würde Simon nicht seinen wilderen Instinkten vertrauen oder hätten Ben und James nicht den Glauben an seine Fähigkeit, solch eine Idee zu verwirklichen oder könnten die Brüder nicht das Fundament liefern, auf dem es funktioniert. Biffy Clyro sind als Trio definitiv größer, als sie es individuell wären.

„Weil wir uns zusammen entwickelt haben, hat es stets auch Veränderungen und Raum für Anpassung gegeben“, fasst James zusammen. „Es gibt keine Notwendigkeit, jemanden am Zügel zu halten, wir unterstützten uns einfach gegenseitig.“ Simon nickt zustimmend: „Die wenigsten Dinge im Leben sind von Dauer. Doch wir haben das große Glück, das hier seit zwanzig Jahren zu haben.“

„Wir haben am richtigen Ort angefangen“, schließt Ben, „und wir sind dort geblieben.“

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